
Warnungen vor Holocaust-Relativierung bei Gedenken an Befreiung von Bergen-Belsen

Mit Warnungen vor einer Relativierung des Holocausts ist am Sonntag in Niedersachsen der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Bergen-Belsen durch britische Truppen vor 80 Jahren gedacht worden. "80 Jahre nach dem Grauen der Schoa droht der Blick auf die Geschichte zu verblassen", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bei der Gedenkzeremonie. "Wir erleben tagtäglich Relativierungen dieses unvorstellbaren Verbrechens - auch in deutschen Parlamenten".
An der Gedenkveranstaltung in dem ehemaligen Konzentrationslager in der Lüneburger Heide nahmen auch die britische Vizepremierministerin Angela Rayner, der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sowie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) teil. In Bergen-Belsen starben während des Zweiten Weltkriegs mindestens rund 20.000 Kriegsgefangene und 52.000 zumeist jüdische KZ-Häftlinge, darunter das für sein Tagebuch weltbekannte Mädchen Anne Frank.
Deutschlandweit wird in diesen Tagen in dichter Folge der Befreiung von NS-Konzentrationslagern durch alliierte Truppen kurz vor Kriegsende 1945 gedacht - darunter am Sonntag auch im bayerischen Flossenbürg. Kommenden Sonntag wird in den früheren Konzentrationslagern im bayerischen Dachau und Sachsenhausen in Brandenburg des 80. Jahrestags der Befreiung gedacht.
Deutschland stehe 80 Jahre nach dem Holocaust "an einer Wegmarke unserer Erinnerungskultur", sagte Schuster. Immer weniger Zeitzeugen seien noch am Leben, immer mehr Menschen in Deutschland hätten keinen familiären Bezug zur NS-Zeit. Die Folge sei "steigende Indifferenz". 40 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen wüssten nicht, dass sechs Millionen Juden im Holocaust getötet wurden.
Niedersachsen Ministerpräsident Weil sagte, für Deutschland sei das "Nie wieder" eine "besondere Verpflichtung". Der Auftrag, Gedenken und Erinnerung an die Ermordung von Millionen Menschen wach zu halten, sei unvermindet aktuell. Denn auch in Deutschland gebe es heute wieder Rassismus und Antisemitismus.
In Bergen-Belsen waren zunächst vor allem sowjetische Kriegsgefangene und später insbesondere jüdische KZ-Häftlinge unter extrem lebensfeindlichen Bedingungen eingesperrt. Zehntausende starben dort an Hunger, Seuchen und Kälte. Als britische Truppen Bergen-Belsen am 15. April erreichen, fanden sie tausende unbestattete Leichen und tausende todkranke Menschen, die nicht mehr zu retten waren. Bilder aus dem befreiten Lager gingen um die Welt und wurden zu einem der ersten Belege für die NS-Vernichtungspolitik.
Vor der Gedenkveranstaltung kündigten nach Angaben der Landesregierung in Hannover einige Vertreter von Verbänden Protestaktionen an, teilweise mit Verweis auf das israelische Vorgehen im Gazastreifen. Die Landesregierung ist Mitveranstalter des Gedenkens. Bei den Protestierenden handelte es sich demnach um Kinder von Überlebenden sowie Vertreter eines jüdischen Vereins.
In einer vorab verbreiteten Erklärung begründete der in Berlin ansässige Verein Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost seine Kritik mit der Beteiligung britischer und israelischer Regierungsvertreter. Dieses sei der Versuch einer politischen Instrumentalisierung der Gedenkfeier.
Die Organisatoren um die Landesregierung baten vorab um Rücksicht auf die im Mittelpunkt des Gedenkens stehenden Überlebenden und ihre Angehörigen, von denen insgesamt 56 anwesend sein sollten. "Bei allem Respekt vor der Meinungsfreiheit bitten wir, die Ehre der Toten zu achten", teilte diese mit. Als Veranstalter behielten sie sich vor, Aktionen "zu unterbinden".
I.Ponce--HdM